Erweckung in einem Ort der Rhön
Von Heinrich Hebeler
In den Märztagen des Jahres 1928 flatterte ein Brief aus dem Ort H. in der Rhön auf meinen Schreibtisch, der folgenden Inhalt hatte:
"Lieber Bruder H. Sie werden staunen, aus H. mit „lieber Bruder “ angeredet zu werden. Ich habe die Freude, Ihnen mitzuteilen, dass wir hier eine kleine Schar von lebendigen Christen haben, bei denen das herzliche Verlangen besteht, sie einmal in unserer Mitte zu haben. Bitte kommen Sie doch sobald wie möglich einmal zu uns, wenn es auch nur für 2-3 Tage sind. Mit Bruder Gruß Ihr H. K."
Über diese Nachricht war ich natürlich sehr erstaunt. Von dem Ort, wo ich vor etwa zwei Jahrzehnten einmal als junger Lehrer amtierte, hatte ich bisher weder derartiges gehört noch erwartet. Während meiner Amtszeit dort war von lebendigen Christentum so viel wie gar nichts zu merken gewesen, im Gegenteil es machte sich trotz strenger Kirchlichkeit der Einwohner sittlicher Tiefstand geltend.
Die Aufforderung, den dort entstandenen lebendigen Kreis von Christen zu besuchen, erweckte in mir den Drang, ihr möglichst bald nachzukommen. So reiste ich dann gleich nach den Ostertagen hin.
Unterwegs wollten mich manche Bedenken über den dortigen Kreis beschleichen, umso mehr, als es wohl an einem rechten Leiter innerhalb der kleinen Schar fehlte und ich nicht ganz sicher war, ob sich das alles nicht auf sektiererische Grundlage aufbaute.
Nach meiner Ankunft besuchte ich meinen früheren Kollegen, der noch dort im Dienst stand, und suchte von ihm etwas über diesen neuen entstandenen Kreis von entschiedenen Christen zu erfahren. Er hatte aber leider dafür gar kein Verständnis, im Gegenteil er suchte mir die Personen die zu dem Kreise gehörten in schlechten Licht darzustellen.
Inzwischen hatte sich mein Eintreffen in H. schnell herumgesprochen. So kam es, dass am Abend eine große Bauernstube in der Nähe des Schulhauses dicht mit Menschen gefüllt war, die in gespannter Erwartung der ersten Versammlung entgegen sahen, die ich in dem Raum halten sollte. Zur angesetzten Stunde hatten sich aber auch noch der Nebenraum, der Hausflur und sogar der Außenraum unter den offenen Fenstern mit Menschen angefüllt, die alle dem Wort Gottes lauschen wollten.
Ich fand kaum noch ein Plätzchen, von dem aus ich zu der großen Menschenmenge sprechen konnte. Das Wort wurde mir förmlich von den Lippen genommen, und es war eine Lust und Freude zu diesen Menschen, die nach dem lebendigen Wort Gottes hungerten, zu sprechen.
Am Schluss der Stunde war auch schon eine Brücke des Vertrauens von Herz zu Herz geschlagen, umso mehr, dass sie mich als ihren früheren Lehrer schon kannten. Einige der Freunde beteuerten mir immer wieder: „Das, was sie uns gesagt haben, ist auch unsere Erfahrung mit dem Herrn. Sie haben nur noch gewissermaßen das Siegel darauf gedrückt, dass unsere Erfahrung eine echt war. Wir wollten auch gern wissen, ob wir auf dem rechten Weg waren, darum haben wir sie gebeten, einmal zu uns zu kommen.“
Nun erfuhr ich auch, wie dieser kleine Kreis von lebendigen Christen entstanden war:
Es war durch die Umkehr eines Trinkers aus Heubach gekommen. Seinem Vater habe ich noch gut gekannt. Der war auch einer, der dem Götzen Alkohol alles opferte. Nun hatte sich diese Leidenschaft auf den Sohn vererbt, und er hatte, obwohl er ein sonst sehr geschickter Maurer war, sein Erdteil vollständig vertrunken. Seine Frau war mit dem einzigen Kinder aus Gram und Herzeleid wieder in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Die einzige Habe, die ihm noch von seinem Besitztum übrig geblieben war, bestand in einem Erlös von 60 RM. aus verkauftem Heu.
Mit diesem Geld fuhr er nach Frankfurt, kaufte sich einen Revolver, wollte das übrige Geld in Alkohol umsetzen und dann seinem Leben ein Ende machen. Da griff Gott in das Leben dieses armen Mannes ein.
Im angetrunkenen Zustand landete er im Hof des Blaukreuzheim in der L.- Straße in Frankfurt. Dort fand ihn das Töchterchen des Hausvaters. Freundlich redete es den Heruntergekommenen an mit den Worten: „Onkel, komm mit!“
Durch die liebevollen Worte dieses etwa siebenjährigen Kindes bewegt, ließ er sich in die Wohnung das Hausvaters führen. Dieser nahm sich seiner an und lud ihn dann zu einer Abendversammlung im Blaukreuzverein ein. Während der Verkündigung des Wortes Gottes viel es ihm wie Schuppen von seinen Augen, er erkannte sein Elend, rief Gott um Gnade an und erfuhr eine völlige Befreiung von den Ketten der Trunksucht.
Nach einigen Tagen kehrte er in die Heimat zurück und fing ein neues Leben an. Seine Frau war anfangs nicht zu bewegen, wieder zu ihm zu ziehen. Er mietet sich ein einsames Stübchen und fing nun fleißig an zu arbeiten. Man staunte allgemein im ganzen Dorf, dass er keinen Tropfen Alkohol mehr genoß, sondern treu seiner Arbeit nachging und sie auch so geschickt ausführte, dass man ihm gerne hier und da Arbeit, die in sein Fach schlug, anbot.
In seinem Herzen erwachte aber bald der Wunsch, seinen Dorfgenossen in Heubach von der großen Gnade zu sagen, die in sein Leben gekommen war. So hielt er hier und da in den Abendstunden kleine Versammlungen in Familien ab, in denen er so gut er es verstand, bezeugte, was Gott an ihn getan hatte. Seine Worte fanden starken Widerhall in den Herzen seiner Zuhörer, da sie merken mussten, dass wirklich ein ganz neues Leben in ihn angebrochen war, ein Leben, dass sie trotz ihrer Kirchlichkeit nicht hatten. So kam es, dass einige Einwohner aus H. und zwar Menschen von Einfluss sich durch den ehemaligen Trinker zu Christus führen ließen. Auf diese Weise war allmählich der Kreis lebendiger Christen entstanden.
Für die nächsten Tage meiner Anwesenheit in H. wurden nachmittags und abends Versammlungstunden festgelegt. Die festgesetzte Stunde am nächsten Abend war wieder so gut besucht wie die erste. Es herrschte eine atemlose Stille. Nachdem ich den ehemaligen Trinker gebeten hatte, ein kurzes Zeugnis zu sagen von dem, was er mit Christus erlebt hatte, und ich dann das Wort ergriff, entstand unter den Zuhörern eine auffallende Bewegung. Man spürte deutlich dass Wehen des Heiligen Geistes.
Mir war plötzlich klar bewusst, dass ich jetzt zurück treten müsse und dem heiligen Geist die weitere Führung dieser Abendversammlung zu überlassen hatte. Ich brach mit der Wortverkündigung ab. Sofort erhob sich nacheinander unaufgefordert eine ganze Anzahl von Teilnehmern und sagte offen, was ihr Herz bedrückt.
So bekannte einer: „Ich habe jetzt meine Sünden gesehen und muss damit zum Heiland.“ Mehrere taten das selbe. Während die Einzelnen sprachen, ging ein leises Wehen durch die Reihen.
Eine Frau stand auf und bekannte, dass sie in der Nacht vorher, nach unserer ersten Versammlung, Frieden mit Jesus gefunden habe. Sie sagte etwa: „Wenn ich jetzt nicht mein Herz erleichtern kann, dann platzt es vor Freude.“ Ihr freudiges Zeugnis verursachte eine tief gehende Wirkung bei den Zuhören.
Diese zweite Versammlung dauert bis tief in die Nacht hinein. Niemand wollte nach Hause gehen. Doch brach ich gegen Mitternacht gewaltsam die Versammlung ab.
Am nächsten Tage ging die Erweckung weiter. Menschen kamen schon in der Frühe des Morgens zur persönlichen Aussprache zu mir, um ihr Gewissen zu erleichtern. Nach der Nachmittagsversammlung, sah man hier und da Gruppen von Menschen zusammen stehen die sich unter einander aussöhnten. Trotz des Samstags, an dem die Frauen gewöhnlich wegen des Putzen und des Reinemachens nicht erschienen, wurde doch die nach Mittagsversammlung gehalten und war wie alle anderen gut besucht. In der Sehnsucht, mit Gott ins Reine zu kommen, wurde alle Arbeit zurückgestellt.
Nach den Abendversammlung, die sich oft bis tief nach Mitternacht ausdehnten, hatte ich kaum Zeit, mit den Menschen zu sprechen, die Frieden finden wollten. Manche blieben sitzen und warten geduldig bis in die späte Nacht hinein, um zur persönlichen Aussprache zu gelangen. Diejenigen aber, die mit Gott in Ordnung gekommen waren, bezeugten das am nächsten Tag stets auch öffentlich. So wurde immer neue Teilnehmer angeregt, ihr Leben im Lichte Gottes zu prüfen und Umkehr zu halten.
Die Wortverkündigung trat in den nächsten Versammlungsstunden fast ganz zurück. Nachdem ein Eingangslied gesungen und ein Gebet gesprochen war, setzten sofort die Zeugnisse der Leute ein. Es war einfach wunderbar und lässt sich nicht gut beschreiben. Der Heilige Geist hatte die Oberhand und Führung.
Viele Menschen fanden in den wenigen Tagen den Frieden ihres Herzens. Es waren in den Tagen von drei Dörfer in der Umgebung Zuhörer gekommen die eben falls vom Geist Gottes ergriffen wurden, ja in zwei Orten entstanden lebendige Kreise, die sich unter eigener Führung zusammenschlossen.
Nun musste man daran denken, für so viele erweckte und bekehrte Menschen einen Versammlungsraum zu errichten, denn die Bauernstuben reicht bei weitem nicht mehr aus. Der ehemalige Trinker fühlte sich von Gott beauftragt, ein großes Versammlungshaus, bestehend aus Saal, Wohnung für Diakonissen usw. zu bauen. Woher aber die Mittel nehmen?
Da half Gott auf wunderbare Weise. Der frühere Trinker erwarb ein kleines, aus Lehmboden bestehendes Stück Land. Nun machte er sich mit einigen treuen Brüdern ans Werk, selbst Ziegelsteine zu formen und zu brennen. Das war eine sehr harte und langwierige Arbeit, da ja alles ohne Maschine hergestellt werden musste. Mit großer Freundlichkeit aber knete man mit den Füßen den Lehm, formte mit den Händen die Steine und setzte sie zum Trocknen auf. Den neugierigen Zuschauern wurde dabei etwas von der Seligkeit eines Lebens mit Christus erzählt.
Einige junge Leute, die arbeitslos waren, halfen freiwillig mit bei der Herstellung der Ziegelsteine. Dabei wurden manche Wunder Gottes erlebt, auf die näher einzugehen der Raummangel verbietet.
Erwähnen möchte ich nur, dass einmal einige 1000 Steine durch starken Regen unbrauchbar wurden. Doch ließ sich der frühere Trinker dadurch nicht in seine Arbeit abschrecken. Er fing getrost von vorne an.
Als wieder einmal ein starkes Gewitter heranzog, betete er in seiner Arbeitshütte um gnädige Bewahrung der Steine. Er erlebte es, dass der Regen etwa 1 m vor den Steinen aufhörte.
Nach Fertigstellung der vielen 1000 Steine wurden sie eine Stunde weit zum Bauplatz befördert, den ein anderer Bruder in hochherziger Weise gestiftet hatte. Auch andere Dorfbewohner, die von der Sache des Herrn Jesus Christus sonst nicht viel wissen wollten, ließen es sich nicht nehmen, ihr Fuhrwerke zur Beförderung der Steine zur Verfügung zu stellen.
Nun wurde gebaut. Ein gläubiger Zimmermann von dem Nachbarort hatte den Bauplan entworfen, lieferte die nötigen Balken zu einem niedrigem Preise und rechnete für sich selbst keinen Arbeitslohn. Das notwendige Geld wurde von einer Bausparkasse geliehen. So wuchs der Bau unter den fleißigen Arbeitshänden treuer Brüder schnell heran.
Nach Fertigstellung des großen, schönen Hauses fand die Einweihung statt, bei der begreiflicherweise Zeugnis über Zeugnis der Geschwister folgte über das, was der Herr Jesus Christus an ihnen getan hatte. So entstand durch Gottes Barmherzigkeit in dieser abgelegenen Gegend ein Denkmal seiner Gnade.
Das Sprichwort: „Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten“ bewahrheitete sich leider auch dort. Es gefiel Satan nicht, dass solch große Zahl von Menschen seinen Reich entrissen war. Er versuchte mit allen Mitteln das begonnene Werk zu verhindern. Es ging darum durch schwere Krisen hindurch.
Aber der Herr hat seine schützenden Hände darüber gehalten, und heute ist dort ein lebendiger Stamm von entschiedenen Christen, die sich da Gnade und der Liebe ihres Herrn freuen.